03.04.2023
„Wildtierkadaver sind wahre Hotspots der Biodiversität“
Nationalpark Eifel ist Partner des Förderprojektes „Belassen von Wildtierkadavern in der Landschaft – Erprobung am Beispiel der Nationalparke“
Schleiden, 3. April 2023. Gäste deutscher Nationalparks lernen schnell: Tote Bäume gehören zum Kreislauf der Natur – sind unerlässlich für die natürliche Entwicklung im Kern eines Nationalparks. Vögel, Fledermäuse und zahlreiche Pilz- und Käferarten sind davon abhängig. Doch wie ist das eigentlich mit toten Tieren? Wie wichtig ist Aas im Wald? Um mehr über den ökologisch bedeutsamen Lebensraum Aas und das bisher noch wenig erforschte Zusammenspiel seiner Besuchenden herauszufinden, wurde das Förderprojekt des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) „Belassen von Wildtierkadavern in der Landschaft – Erprobung am Beispiel der Nationalparke“ ins Leben gerufen. Als einer der 16 deutschen Nationalparke ist der Nationalpark Eifel bereits seit Oktober vergangenen Jahres am Projekt beteiligt. Projektträger ist die Universität Würzburg. Jetzt beginnt die Untersuchungsphase, das heißt, die teilnehmenden Schutzgebiete legen gezielt tote Wildtiere aus, um diese bis zu ihrer vollständigen Zersetzung zu beobachten und zu untersuchen. Dabei wird auf nicht für den menschlichen Verzehr geeignete Rehe und Rothirsche zurückgegriffen, die etwa Opfer im Straßenverkehr wurden.
Projektziel ist es, erstmals über die Nationalparke hinweg in den verschiedenen Großlandschaften - vom Gebirge über die Mittelgebirge bis hin zu den marinen Habitaten - standardisiert zu untersuchen, wie Aas in den verschiedenen Ökosystemen von Wirbeltieren, Insekten sowie Mikroorganismen, also Bakterien und Pilze genutzt wird. Damit soll der Prozessschutz in Nationalparken um ein wichtiges Thema in der Wahrnehmung erweitert werden.
Erste Untersuchungen im Nationalpark Bayerischer Wald zeigten 17 Wirbeltierarten, 92 Käferarten, 97 Zweiflüglerarten, 1820 Bakterienarten und 3726 Pilzarten an der toten tierischen Biomasse. „Ein Wildtierkadaver ist somit ein wahrer Hotspot der Biodiversität“, so Dr. Christian von Hoermann, der die Mitarbeitenden und Beteiligten der Nationalparkverwaltung Eifel zu dem Thema schulte. „Kadaver sind die beste Düngung für den Wald“, bringt es der Kadaverökologe aus dem Nationalpark Bayerischer Wald von Hoermann auf den Punkt. Aas setze viel mehr Nährstoffe frei als andere tote organische Materie wie Holz oder Blätter.
Wenn man über einen längeren Zeitraum beobachtet, wie sich ein totes Tier zersetzt, wird deutlich, wie viel Leben es beherbergt und hervorbringt. Der Kreislauf des Lebens offenbart sich am Aas wie ein Zeitraffer im Vergleich zu der Zersetzung von abgestorbenen Bäumen. Wird Totholz über Jahrzehnte hinweg abgebaut, dauert es bei einem toten Tier oft nur wenige Wochen. Viele verschiedene Arten – vom Rotmilan und Kolkrabe über Fuchs und Aaskäfer bis hin zu Bakterien und Pilzen, die man mit bloßem Auge nicht mehr sehen kann – haben sich auf diesen Energie-Impuls im Laufe der Evolution perfekt eingespielt.
„Das, was sich beispielsweise aus einem 30 Kilogramm schweren Kadaver an Nährstoffen löst, entspricht in vielen Agrarsystemen einer Düngung über 100 Jahre hinweg“, ist Dr. von Hoermann fasziniert von der enormen Wirkung auf die unmittelbare Umgebung eines Kadavers. Obwohl dieser Mehrwert für die Artenvielfalt bekannt ist, ist selbst in Nationalparken mit deren Aufgabe der Förderung natürlicher Prozesse das Belassen verunfallter Wildtiere bislang kaum im Schutzgebietsmanagement vorgesehen, so der Kadaverökologe. Im Nationalpark Eifel ist man da schon voraus. „Verunfallte Tiere werden von der Nationalparkverwaltung meistens von der Straße weg in das Nationalparkgebiet gezogen und dort belassen“, weiß Forscher Sönke Twietmeyer aus der Nationalparkverwaltung Eifel. Er betreut für das Großschutzgebiet das auf fünf Jahre angesetzte Entwicklungs- und Erprobungsvorhaben.
Im Rahmen des Projektes wird wissenschaftlich erhoben, welche Arten am Kadaver zu finden sind. Große Aasfresser werden mittels Fotofallen, Insekten mittels so genannter Barberfallen, Pilze und Bakterien mit Hilfe von Abstrichen erfasst und genetisch analysiert. Untersucht werden die optimalen Bedingungen des Aasangebots, um die Auswirkungen auf die Diversität der Kadaverbesucher schutzgebietsübergreifend zu optimieren. Parallel dazu findet eine Sensibilisierung für das Thema ‚Sterben im Wald‘ durch kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit statt. Darüber hinaus soll das Thema Kadaverökologie auch in die Umweltbildung Einlass finden.
Zu Projektende wird es Handlungsempfehlungen für das Management in Nationalparken und Naturlandschaften geben. Ein Wissens- und Ergebnistransfer übergreifend auf Deutschlands Wildnisgebiete ist ein großes Anliegen und Ziel aller am Projekt beteiligten Partner.
Hintergrund
Das Projekt wird mit Fördermitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) finanziert und gliedert sich in ein Hauptvorhaben und eine wissenschaftliche Begleitung. Im Hauptvorhaben werden jährlich über einen Zeitraum von drei Jahren acht natürlich verendete oder bei Wildunfällen tödlich verunglückte und nicht mehr für den menschlichen Verzehr geeignete Rehkadaver an zufälligen Plätzen auf den Flächen der Schutzgebiete belassen.
In einem sogenannten ‚Blockdesign‘ werden in einem charakteristischen Lebensraumtyp (z.B. der Dreiborner Hochfläche im Nationalpark Eifel) sechs Blöcke (drei im Sommer und drei weitere im Winter) bestehend aus je drei Teilflächen eingerichtet. Dabei dient eine Teilfläche als Kontrolle ohne Aas, auf einer Teilfläche wird ein Reh als allgegenwärtige Kadaverart ausgelegt und auf der dritten Teilfläche jeweils eine für einen größeren Lebensraum spezifische Tierart, wie der Rothirsch im Nationalpark Eifel.
Fotos zum Download
Bild 1: Im Rahmen des Projektes zur Aasökologie werden zunächst tote Tiere, die zum Beispiel bei einem Verkehrsunfall umgekommen sind, an zufälligen Orten auf der Dreiborner Hochfläche ausgelegt. (Foto: Nationalparkverwaltung Eifel/A. Simantke)
Bild 2: Projektbetreuer und Forscher Sönke Twietmeyer aus der Nationalparkverwaltung Eifel installiert in der Nähe des ausgelegten Kadavers eine Fotofalle, um so die vom Aas profitierenden Arten zu erfassen. (Foto: Nationalparkverwaltung Eifel/A. Simantke)
Bild 3: Projektbetreuer Sönke Twietmeyer hält den genauen Standort des Rehs per GPS-Daten fest. (Foto: Nationalparkverwaltung Eifel/A. Simantke)
Annette Simantke
53937 Schleiden-Gemünd